Sonntag, 3. Juni 2018

SPAR-ZIEREN

Guten Abend, liebe Leser im World Wide Web, herzlich willkommen in meinem „Blog“. Hier werde ich mit Ihnen meine Expertise teilen, wie man mit wenig Geld und dennoch etwas Würde durch das Leben kommt. Aber gestatten Sie, dass ich mich zuerst kurzvorstelle. Mein Name ist Dagmar, geboren 1938, wohnhaft in Berlin-Neukölln, und dies ist mein erster Beitrag im Internet.

Ich muss gestehen, bisher war ich der modernen Technik gegenüber nicht sonderlich aufgeschlossen. Doch vor einem Monat hörte der Postbote auf, Briefe und Prospekte in der gesetzlosen Nachbarschaft zuzustellen, in die das Sozialamt mich steckte. Mein Sohn Steffen war meine Klagen über die Deutsche Post bald leid. Doch anstatt seine Mutter aus dieser Sickergrube zu holen, brachte mein Spross mir bei, Angebotsprospekte von Aldi und Lidl im Internet aufzurufen und das „Google“ um Rat zu fragen.

Zuerst schüchterte das Internet mich ein. Lieber Himmel, so vieles trieb mir Schamesröte ins Gesicht! Als ich „Google“ etwa um Ratschläge für Hausfrauen bat, führte es mich zu „geilen Hausfrauen in der Nachbarschaft“. Aber dank der sogenannten „Tutorials“ für Ältere habe ich die ersten Schritte bewältigt und staune bis heute über die Wunder des World Wide Web. Der Internetsender „YouTube“ ist unterhaltsamer als das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Die „Foren“ bieten mehr Gesundheitstipps als die Apotheken Umschau und die Rezeptseiten besseren Kuchen als Brigitte. 

Dies, liebe Leser, gab mir Mut, auch mein Wissen zu teilen. Sie werden sich wundern: Was für eine Expertise hat eine Achtzigjährige, Beine kaputt, Sohn ein Taugenichts, arm wie eine Kirchenmaus? Letzteres, liebe Leser, ist, wie man modern sagt, mein „Unique Selling Point“. Ich habe einen Weltkrieg überlebt und die bettelarmen Jahre danach. Vier Jahrzehnte habe ich als Hauswirtschaftslehrerin gearbeitet, Steuern gezahlt, eine Familie versorgt und bin, zum Dank dafür, an meinem Lebensabend ein Sozialfall geworden. 

Ich weiß, liebe Leser, viele von Ihnen haben wie ich ihr Leben lang klaglos ihre Pflicht getan und sind im Ruhestand doch gezwungen, jeden Groschen umzudrehen. Deshalb möchte ich Sie ermuntern, sich wenigstens im Kleinen das zu holen, was Ihnen zusteht. Meine ersten Ratschläge werden sich darum drehen, wie man einen Spaziergang in einen Sparziergang verwandelt. Nehmen Sie einen Beutel und ein leeres Marmeladenglas auf Ihren Ausflug mit. Die Waschräume im Rathaus, im Gemeindezentrum oder in der öffentlichen Bibliothek haben oft Spender mit kostenloser Flüssigseife, die man darin abfüllen kann. Die Hygienebeutel in den Toiletten eignen sich hervorragend als Brottüten, um einen kleinen Imbiss einzupacken. Und falls Sie einen Regenschirm brauchen, fragen Sie einfach in der Fundabteilung dieser Einrichtungen nach. Sagen Sie, Ihrer war klein und schwarz, halten Sie Ihre Beschreibungen möglichst allgemein – und ich versichere Ihnen, die Mitarbeiter werden ein passendes Exemplar dahaben. Ähnlich funktioniert es mit Sonnenbrillen. Ich habe auf diese Weise eine hübsche Sonnenbrillensammlung zusammengetragen. 

Von meinen letzten Sparziergängen habe ich Steffen ein sehr modernes Paar mitgebracht, das recht teuer aussieht. Die Geschenke für ihn türmen sich auf dem Beistelltisch im Flur, da er mich seit meinem Geburtstag nicht besucht hat. Er wohnt nur drei U-Bahn-Haltestellen von mir entfernt, aber ich habe gelernt, es mir nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen. Ich sollte nicht zu gierig sein. Ich sollte mich glücklich schätzen, dass ich überhaupt etwas bekomme. 

Sie mögen entgegnen, liebe Leser, meine Sparziergänge seien Diebstahl. Aber wenn man nicht nach sich selbst guckt in dieser Welt, macht das ja niemand. Der Staat kümmert sich zwar um die Nichtsnutze, die den lieben langen Tag bei mir im Haus herumlungern und im Treppenhaus rauchen. Wie zum Beispiel dieser osteuropäische Einfaltspinsel. Stark wie ein Ochse und kerngesund, hat aber noch keinen Tag in seinem Leben gearbeitet. Zu meiner Zeit hätte man ihn sofort auf eine Baustelle malochen geschickt. Aber heutzutage bekommt er umsonst Deutschunterricht, eine Wohnung, Taschengeld und Sozialarbeiter an die Seite gestellt, die viel Aufhebens um ihn machen, während ich darben muss und seine Zigarettenstummel zusammenfege. 

Der Einzige, der außer mir jemals im Treppenhaus gekehrt hat, ist der hübsche blonde Lulatsch, der vor vier Tagen über mir eingezogen ist. Aber auf einen wie ihn kommen zwanzig andere, die nur Müll und Lärm machen. Bitte vergeben Sie mir, liebe Leser, die Schimpferei. Aber das bisschen Lästern ist der einzige Spaß, der einer alten Frau noch bleibt. 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und hoffentlich bis zum nächsten Beitrag mit weiteren Sparratschlägen, 

Ihre Dagmar